Die Aussage des Staatssekretärs im Verkehrsministerium, Steffen Bilgers, enthält Sprengstoff: Mit einer winzigen Formulierung offenbart der Staatssekretär nämlich, welcher ganz konkrete Trassenverlauf offenbar hinter verschlossenen Türen des Bundesverkehrsministeriums bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung als Vorzugstrasse gehandelt wurde. Sie würde östlich an Bückeburg vorbei, unter dem Harrl hindurch führen. Das steckt dahinter:
SCHAUMBURG. Dass sich der Bau einer ICE-Schnellfahrstrecke zwischen Hannover und Bielefeld zu einem Milliardengrab auswachsen könne, hatten deren erklärte Gegner – wie die heimischen Bürgerinitiativen oder der ehemalige parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger – schon lange gemutmaßt. Jetzt hat erstmals auch das Bundesverkehrsministerium eingeräumt, dass es mit der Wirtschaftlichkeit des umstrittenen Großprojekts möglicherweise weit weniger rosig aussieht als bislang angenommen. Konkret genannt wird jetzt ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von knapp über Eins.
Befürworter des Vorhabens wie der Fahrgastverband Pro Bahn oder die Initiative Deutschland-Takt waren zuvor von einem wesentlich höheren Wert ausgegangen.
Es sind nur wenige Zeilen, die Steffen Bilger, Staatsekretär im Bundesverkehrsministerium, in einer der letzten Sitzungen des Deutschen Bundestags in diesem Jahr auf die Anfrage des Mindener Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler (FDP) zu Protokoll gab, doch sie sind brisant: Zur Frage, was die Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Bahnprojekt Hannover-Bielefeld ergeben habe, heißt es dort wörtlich: „Im Ergebnis wurde ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,04 erreicht.“ Dabei sei wie im dritten Gutachterentwurf für den Deutschland-Takt gefordert ein zweigleisiger Neubau zwischen Seelze und Bielefeld von 78 Kilometer Länge und für eine Maximalgeschwindigkeit von 300 Stundenkilometer zugrunde gelegt worden.
Dies wirft erstmals auch durch eine Aussage des Bundesverkehrsministeriums ein völlig anderes Licht auf die Wirtschaftlichkeit des zuvor von offizieller Seite stets als hochprofitabel dargestellten Bahnprojekts. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) stellt einen entscheidenden Indikator dafür dar, ob ein Infrastruktur-Vorhaben umgesetzt wird. Liegt es unter dem kritischen Wert von Eins, so darf der Bund es aus gesetzlichen Gründen nicht in Angriff nehmen. Genau dies geschah mit dem 2004 vom Deutschen Bundestag beschlossenen und bis heute von der lokalen Politik und den heimischen Bürgerinitiativen so vehement befürworteten trassennahen Ausbau der bestehenden Bahnstrecke Hannover-Minden: Für ihn wurde 2010 im Rahmen der Bedarfsplanüberprüfung ein NKV kleiner Eins berechnet, so dass das Projekt aus dem vordringlichen Bedarf des Schienenwegeausbaugesetzes gestrichen wurde.
Für das 2016 veröffentlichte Vorhaben aus dem Bundesverkehrswegeplan einer Neubaustrecke durch die Bückeburger Niederung und durch den Jakobsberg nach Porta Westfalica ergab sich immerhin ein NKV von Zwei.
Schon der Tunnel sei „Irrsinn“ gewesen, doch habe dabei wenigstens die Wirtschaftlichkeit gestimmt, schreibt Frank Schäffler jetzt als Reaktion auf die Bilger-Aussage in einer Pressemitteilung. Wenn sich das neue Projekt nun als nur halb so wirtschaftliche erweise, stehe es „auf tönernen Füßen“ und sei es so nicht realisierbar, betont der Bundestagsabgeordnete und Mindener FDP-Bezirksvorsitzende: „Es wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“
Die Aussage Steffen Bilgers enthält jedoch noch weiteren Sprengstoff: Mit einer winzigen Formulierung offenbart der Staatssekretär nämlich, welcher ganz konkrete Trassenverlauf offenbar hinter verschlossenen Türen des Bundesverkehrsministeriums bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung als Vorzugstrasse gehandelt wurde. Da ist wortwörtlich die Rede von einem „zweigleisigen Aus-/Neubau Seelze–Bielefeld“, der etwa in der Mitte (genauer: bei Kilometer 39) noch einmal mit der Bestandsstrecke Wunstorf-Minden zusammengeführt wird. Und das ist nur möglich, wenn es sich bei dieser Neubaustrecke um die „Idaturm-Trasse“ handelt, die aus Richtung Seelze kommend über Stadthagen und dann mittels Tunnel unter dem Harrl und dem Wesergebirge Richtung Süden nach Bielefeld geführt wird.
Quelle: Schaumburger Zeitung Autor: Johannes Pietsch vom 29.12.2020
Kommentar von Pro-Ausbau
Wir fügen aus den Protokollen des Bundestages die Original-Fragen und -Antworten hinzu:
Abgeordneter Frank Schäffler (FDP): Wie ist der Wortlaut des Planungsauftrags der Bundesregierung an die Deutsche Bahn AG hin-sichtlich des Baus einer neuen ICE-Trasse zwischen Bielefeld und Hannover im Rahmen des Deutschlandtakts?
Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Enak Ferlemann vom 7. Dezember 2020: Im Deutschlandtakt ist für die Relation Hannover–Bielefeld eine Streckenhöchstgeschwindigkeit von 300 km/h und Zielfahrzeit zwischen beiden Städten von 31 Minuten unterstellt.
So wird die Reisezeit auf der Verbindung Nordrhein-Westfalen (NRW)–Hannover/Berlin verkürzt und es werden optimale Anschlussknoten u. a. in NRW und Hannover realisiert. Die abgeleiteten Maßnahmen wurden nach der Methodik des Bundesverkehrswegeplans bewertet. Diese Grundlagen liegen für den Korridor Berlin–Hannover–Bielefeld vor. Ein Nutzen-Kosten- Verhältnis von mehr als 1 wurde ermittelt.
Am 24. November 2020 wurde die Deutsche Bahn AG mit der Planung beauftragt. Im Übrigen wird auf die Pressemitteilung der Deutschen Bahn AG verwiesen (abrufbar unter: www.deutschebahn.com/pr-duesseldorf-de/aktuell/presseinformationen/Von-Bonn-nach-Berlin-in-nur-vier-Stunden-Deutsche-Bahn-plant-Ausbau-der-Verbindung-Hannover-Bielefeld-5741070). Die DB Netz AG als Vorhabenträgerin beachtet bei ihrer Prüfung der Vorzugsvariante Allernativlösungen hinsichtlich ihrer raumordnerischen Vorzugswürdigkeit sowie ihrer Eignung und möglichen Auswirkungen auf die Schutzgüter Mensch, Natur und Umwelt.
Quelle: Bundestag.de 19/1925159
Frage des Abgeordneten Frank Schäffler (FDP): Welchen Inhalt und welches Ergebnis hat die in der Antwort auf meine schriftliche Frage auf Bundestagsdrucksache 19/25159 erwähnte Nutzen-Kosten-Rechnung für den Bau einer neuen ICE-Trasse zwischen Bielefeld und Hannover?
Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Bilger in der 201. Sitzung: Gegenstand der Nutzen-Kosten-Untersuchung ist die Ertüchtigung des Korridors Berlin–Hannover–Bielefeld für Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h vor dem Hintergrund des Deutschlandtaktes.
Folgender Ausbauumfang lag zugrunde:
– Ertüchtigung der bestehenden Neubaustrecke Berlin– Spandau–Wolfsburg außer im Abschnitt Abzweig Ribbeck–Abzweig Bamme auf 300 km/h, Bereich Elbebrücke (km 194,2–196,2) verbleibt bei Vmax = 250 km/h,
– Geschwindigkeitserhöhung Lehrte–Fallersleben auf Vmax = 230 km/h,
– zweigleisiger Aus-/Neubau Seelze–Bielefeld, Vmax = 300 km/h, Länge 78 km, höhenfreie Einbindungen in die Strecke 1700 in Seelze (km 14) und in Brake (km 103), höhengleiche Verknüpfung mit Strecke 1700 in km 39 (km 55 der NBS). [Anmerkung: Vergleich dazu „Variante 5“]
Im Ergebnis wurde ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,04 erreicht.
Quelle: Bundestag.de 19/19201
Wir freuen uns auf einen ergebnisoffenen und konstruktiven Bürgerdialog!