Mehr Güter auf die Schiene – nur wie?
Seit Jahrzehnten wollen Regierungen mehr Güter auf die Schiene bringen – erfolglos. Die Krise macht es noch schwieriger. Nun hofft die Branche auf den Deutschlandtakt.
Quelle Zeit.de vom 25.06.2020
Marketing kann Sigrid Nikutta. In ihrem alten Job hat sie die Berliner Verkehrsgesellschaft und U-Bahn-Fahren cool gemacht. Als neue Chefin von DB Cargo, der Güterzugsparte der Deutschen Bahn, präsentierte sie den Medien dann mitten in der Corona-Krise Nudel-Züge, die von Italien nach Nürnberg fahren. Die Pasta-Versorgung der Deutschen ist gesichert, lautete die Botschaft – trotz Hamsterkäufen und Lkw, die an den Grenzen Schlange stehen.
Die Deutsche Bahn als Retter der Supermärkte – in der Bahnbranche kam das gut an. Insgesamt zählt der Schienengüterverkehr allerdings eher zu den Verlierern der Corona-Krise. Um 20 bis 35 Prozent ist der Verkehr bei den Betreibern in Europa im März und April zurückgegangen, hat die Beratungsagentur SCI Verkehr ermittelt. Mit einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau rechnet SCI in einer Prognose je nach Verlauf der Pandemie nicht vor 2023. Die Branche wird dabei in den nächsten Jahren nicht nur mit einem Konjunktureinbruch kämpfen müssen. Straßen-Spediteure ziehen bereits jetzt mit Kampfpreisen Fracht von der Schiene in ihre nicht ausgelasteten Lkw. Dabei hilft ihnen der niedrige Ölpreis. „Wenn der Straßengüterverkehr plötzlich zehn Prozent weniger Energiekosten hat, haut das schon rein“, sagt Maria Leenen von SCI Verkehr.
So wird der Start von Sigrid Nikutta als DB-Vorständin für Güterverkehr nun noch schwieriger als erwartet. Der Güterverkehr der Bahn steckt seit Jahren in der Krise. Vergangenes Jahr erwirtschaftete die Sparte einen operativen Verlust von 308 Millionen Euro und für diese Jahr rechnete man bei der DB bereits vor Corona mit einem Minus von über 350 Millionen Euro. Zugleich transportiert die DB Cargo seit Jahren immer weniger Güter. 2010 fuhr die Bahn noch 415 Millionen Tonnen Fracht über Deutschlands Gleise, vergangenes Jahr waren es nur noch 232 Millionen Tonnen.
Ehrgeizige Vorgaben der Regierung
Die Wettbewerber der Bahn sind dagegen kräftig gewachsen. Sie transportieren inzwischen knapp mehr als die Hälfte aller Güter auf der Schiene. Doch gegenüber der Straße konnte der Schienengüterverkehr in einem insgesamt wachsenden Markt kaum hinzugewinnen. Der Anteil der Schiene schwankt seit Jahren um die 18 Prozent – obwohl seit Jahrzehnten jede Bundesregierung den Gütertransport für den Klimaschutz auf die Schiene verlagern wollte. Die aktuelle Koalition hat als Ziel ausgegeben, dass in zehn Jahren ein Viertel aller Güter auf der Schiene transportiert werden sollen.
Nikutta scheint diese Herausforderung jedoch gerne anzunehmen. Nach Jahren, in denen DB Cargo das Geschäft eher zurückfuhr, setze man nun voll auf Wachstum, verkündete sie zum Einstieg. 25 Millionen Lkw-Fahrten will sie bis 2030 auf die Schiene verlagern.
Die Logistik-Trends laufen gegen die Bahn
Gegenüber dem Hauptwettbewerber, der Straße, ist der Schienengütertransport unter den heutigen Rahmenbedingungen nur partiell wettbewerbsfähig. „Der Transport von Massengütern wie Eisenerz, Kohle und Stahl, bei dem die Bahn gut ist, geht seit Jahren zurück“, sagt Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Kleine Mengen zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt pünktlich abzuliefern, wie es für die Just in time-Produktionsweise gefragt sei, liege der Bahn dagegen nicht so sehr. Angesichts dessen sei es eigentlich eine große Leistung der Akteure in der Branche, dass die Schiene 18 Prozent Marktanteil gehalten habe.
Der Grund dafür, dass zumindest das gelang: Beim Abtransport der Container aus den großen Überseehäfen in Rotterdam, Antwerpen und Hamburg seien die Güterbahnen gut im Geschäft, sagt Böttger. Doch das boomende Geschäft stößt immer öfter an Grenzen, weil die Hauptstrecken für den Containertransport chronisch überlastet sind. „Die Strecke nach Basel ist südlich von Karlsruhe oft dicht. Bestimmte Fahrten können dadurch einfach nicht stattfinden“, sagt Peter Westenberger, der Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), das die Konkurrenten der DB vertritt. Engpässe gibt es im deutschen Eisenbahnnetz aber nicht nur im sogenannten Alpentransit von Rotterdam nach Genua, sondern auch auf der Strecke von Dresden nach Tschechien, am Hamburger Hafen und rund um die Großstädte.
Dem Güterverkehr würden vor allem viele kleine Maßnahmen helfen – etwa Überholgleise und Weichen, damit Personen- und Güterzüge aneinander vorbeikommen. Auch die Elektrifizierung bestimmter Strecken würde die Kosten senken und Ausweichrouten schaffen. Nachdem die Politik lange vor allem auf teure Großprojekte für den Personenfernverkehr setzte, sei das Potential dieser sogenannten kleinen Maßnahmen inzwischen erkannt worden, sagt Westenberger. Mit dem seit 2015 gültigen Bundesverkehrswegeplan ist er deswegen sehr zufrieden. Das Problem sieht er bei der Deutschen Bahn, die für das Netz zuständig ist. Die bekomme das Geld nicht verbaut, kritisiert Westenberger: „Es fehlt an Planungskapazitäten.“ Bis 2025 würden deshalb kaum neue Strecken eingeweiht.
Hoffen auf den Deutschlandtakt
Wenn es auf der Schiene wieder mal eng wird, sind die Güterzüge regelmäßig die Verlierer. Denn während die Fahrten im Personenverkehr mindestens ein halbes Jahr im Voraus geplant werden, melden die Güterbahnen ihre Transporte oft erste wenige Tage vorher an. In der Praxis bedeutet das: Die Güterzüge stehen mitunter stundenlang und warten, weil die Gleise voll sind. Das macht die Transporte oft unpünktlich, was zu Beschwerden der Kundinnen führt.
Der Deutschlandtakt könnte den Güterverkehr deshalb deutlich voranbringen. Zwar soll dieser vor allem den Personenverkehr beschleunigen, indem er Nah- und Fernverkehr perfekt aufeinander abstimmt. Er bietet aber auch zwei große Vorteile für Güterzüge. So sollen mit dem Deutschlandtakt Engstellen im Netz gezielt beseitigt werden und Güterzüge bekommen fortan fest eingeplante Fahrzeiten. Diese sogenannten Systemtrassen, die man sich wie Landeslots an einem Flughafen vorstellen kann, sollen dann spontan an jene Güterzugbetreiberinnen verteilt werden, die für den entsprechenden Tag Fahrten anmelden. Doch zum Vorteil wird dieses System erst, wenn auch wirklich genug Fahrten für Güterzüge eingeplant werden. Gespannt warten deshalb alle in der Bahnbranche auf den 30. Juni. Dann stellt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) den überarbeiteten Fahrplan des Deutschlandtaktes in Berlin vor.
Mehr kleine Transporte
Wenn die Eisenbahn beim Gütertransport ihren Marktanteil auf 25 Prozent steigern soll, muss sie sich allerdings in jedem Fall besser auf moderne Logistiktrends einstellen und wieder mehr kleine Mengen transportieren. Das betrifft vor allem den sogenannten Einzelwagenverkehr, der in Deutschland nur von der Deutschen Bahn betrieben wird. Hierbei holt die DB von einer Firma nur ein oder zwei Waggons ab, schließt diese in einem Rangierbahnhof mit anderen Waggons zu einem Zug zusammen und trennt sie schließlich kurz vor dem Ziel wieder ab, um die Ladung zur Empfängerin zu bringen. Es handelt sich um einen sehr aufwändigen Betrieb, der sich letztlich nicht profitabel betreiben lässt. Deshalb hat die Deutschen Bahn den Einzelwagenverkehr in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefahren, die Zahl der Gleisanschlüsse bei Firmen ging deutlich zurück.
Teuer am Einzelwagenverkehr sind jedoch vor allem die hohen Grundkosten, um die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Mit dem sinkenden Transportvolumen wurde deshalb jede einzelne Fahrt für die Deutsche Bahn immer unwirtschaftlicher und das Verhältnis zwischen Umsatz und Verlust immer ungünstiger. Daher vollzieht Sigrid Nikutta nun eine Kehrtwende.
„So einfach wie Onlineshopping“
Die Bahn will im Einzelwagenverkehr wieder deutlich wachsen. Im Gegenzug hofft Nikutta auf mehr Subventionen, weil sie der Bundesregierung mit ihren Klimaschutzzielen hilft. Das Angebot lasse sich wahrscheinlich verfünffachen, sagte Nikutta nun. DB Cargo werde dafür sorgen, dass die Mengen bei fehlendem Gleisanschluss auch mit dem Lkw abgeholt und dann auf die Schiene gebracht würden. Dabei helfen könnte eine neue Generation von Lkw-Anhängern, die wie Container ganz einfach auf Güterzüge verladen werden können.
„Wir machen Schienengüterverkehr so einfach wie Onlineshopping“, versprach Nikutta vollmundig. Bisher ist DB Cargo in der Bahnbranche für schlechten Service berüchtigt. Sollte es Nikutta in den nächsten Jahren tatsächlich gelingen, die DB Cargo kundenfreundlich zu machen, wäre das eine beachtliche Leistung.
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