Deutschlandtakt: Aktivistinnen ziehen Lehren fürs Auetal

Expertenrunde zeigt Früchte

Deutschlandtakt: Aktivistinnen ziehen Lehren fürs Auetal

AUETAL. „Zu kurz gedachte Prestige-Rennstrecken und am falschen Ort gebaute Bahnhöfe wären für einen funktionierenden Deutschlandtakt fatal“: Das ist die Hauptlektion, welche die „Pro-Ausbau“-Aktivistinnen Claudia Grimm und Christine Gödecke aus dem jüngsten Gespräch mit den beiden Bahnexperten Prof. Dr. Wolfgang Hesse und Dr. Bernhard Knierim im Jetenburger Hof in Bückeburg (wir berichteten) gelernt haben. Ein Gespräch, das ihnen einen enormen Motivationsschub gegeben und fantastisches Handwerkszeug in die Finger gelegt habe.

Bei „Pro-Ausbau“ handelt es sich um eine Gruppe von etwa einem Dutzend Bürgern und Bahnfreunden aus dem Schaumburger Land, die sich für die Instandsetzung und Modernisierung der Bahninfrastruktur einsetzen und unter www.pro-ausbau.de eine eigene Internetseite betreiben. Besonders am Herzen liegt den Mitgliedern von „Pro-Ausbau“ dabei ihre „Heimatstrecke“ von Hannover bis nach Bielefeld – sie lehnen eine ICE-Neubautrasse ab und fordern stattdessen den Ausbau der Bestandsstrecke.

„Die jüngste Veranstaltung mit Prof. Dr. Wolfgang Hesse und Dr. Bernhard Knierim ist für uns der Auftakt zu einer Vernetzung unserer Bemühungen über die Landkreis-, ja über die Landesgrenzen hinweg“, erklären Grimm und Gödecke unisono. Der Kontakt zum Nachbar-Projekt Alpha-E sei hergestellt. Der Kontakt zu anderen Bahn-BIs in Deutschland werde gesucht. „Damit“, so die Aktivistinnen von „Pro- Ausbau“, „wollen wir erreichen, dass jetzt zunächst über den Deutschlandtakt diskutiert wird.“ Eben deshalb hatte „Pro Ausbau“ zu der Expertenrunde auch die sechs unter dem Dach der IG „Cosinus“ vereinten Bürgerinitiativen Seelze, Munzel/Holtensen, Dedensen, Samtgemeinde Nenndorf, Bigtab (Bückeburg, Minden, Porta Westfalica) und Auetal (mit Buchholz) eingeladen. Dazu war eine Vertreterin aus dem Kreis Minden-Lübbecke dabei. „Wir wollen, dass alle an einem Strang ziehen – und das bitte in die gleiche Richtung“, betont Grimm.

Für sie wie auch für Gödecke ist klar: „Der Deutschlandtakt in seiner jetzt propagierten Form hat einfach noch viel zu viele Schwächen und Fehlstellen.“ Das aber könnten Bahnfreunde, die diesem Takt als solchem positiv gegenüber stünden, nicht hinnehmen. Zumal: „Dieser Takt soll ja für Jahrzehnte Bestand haben“, wie Gödecke sagt. Damit aber sei er viel zu wichtig, als dass er – wie jetzt geschehen – mit der sprichwörtlichen heißen Nadel gestrickt werden könne. Für einen Takt wie diesen habe die Schweiz auf ihrem Territorium 20 Jahre der Planung gebraucht; das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aber wolle ihn in zwei bis drei Jahren durchpeitschen und in Person von Minister Andreas Scheuer am liebsten noch vor der kommenden Bundestagswahl einen „Erledigt“-Haken dahinter machen.

„Was wir als Bahnnutzer wollen, das ist ein Taktfahrplan, bei dem die Züge erstens pünktlich, zweitens zuverlässig und drittens regelmäßig verkehren“, unterstreicht Grimm. All das habe nämlich Vorrang vor einer „überambitionierten Reisezeitverkürzung“. Die stehe aus Bürgersicht vollkommen hinten an. Die immer wieder als Totschlagargument ins Feld geführten 31 Minuten, auch das haben die Aktivistinnen von dem studierten Mathematiker und ausgewiesenen Fahrplanexperten Hesse gelernt, würden vorn und hinten nicht in den Takt passen. „Es müssen 27 Minuten sein – oder es geht gar nicht“, so Grimm. Wie Gödecke ist auch sie dankbar, dass Hesse wie Knierim „Pro-Ausbau“ konkrete Alternativen an die Hand gegeben hätten. Besonders gut gefällt den Schaumburgerinnen darüber hinaus, dass beide Wissenschaftler ein „Expertenforum“ als unverzichtbar erachten, bei dem der jetzt vorliegende dritte Gutachterentwurf zum Deutschlandtakt zunächst diskutiert und dann verbessert werden müsse.

„Der Takt in seiner jetzigen Form“, erklärt Grimm, „geht nicht nur mathematisch nicht auf – er enthält auch teure Prestige-Rennstrecken, die zeigen, wie mit großem Schwung Steuergelder zum Fenster rausgeworfen werden.“ Das sei nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch „ein Wahnsinn“. Die Aktivistinnen wissen sich in dieser Bewertung eins mit MdL Karsten Becker (SPD), Schaumburgs Landrat Jörg Farr und Melanie Hövert, für Bündnis 90/Die Grünen Kreistagsmitglied in Minden-Lübbecke und verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion – um nur einige wenige zu nennen.

Indes: Der Meinungsaustausch mit Hesse und Knierim im Jetenburger Hof soll nicht der letzte gewesen sein. „Die Zusammenarbeit bleibt nicht nur bestehen, sie wird auch weiter ausgebaut“, sagen die beiden Frauen – und sei es in Coronazeiten in Form von Telefon- und Videokonferenzen.

Vier Live-Mitschnitte des Expertengesprächs mit Prof. Dr. Wolfgang Hesse und Dr. Bernhard Knierim sowie der zugehörigen Diskussionen finden sich in Videoform auf www.pro-ausbau.de

Quelle Thomas Wünsche für SZLZ.de vom 23.10.2020

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