Trassennaher Ausbau oder Neubau?

Bahnexperte Rainer Engel referiert über Machbarkeit des trassennahen Ausbaus der Bahnstrecke Hannover–Minden

Trassennaher Ausbau oder Neubau?

BÜCKEBURG. Beim Thema Bahnausbau scheinen sich zwei gänzlich unvereinbare Positionen gegenüber zu stehen: Während das Bundesverkehrsministerium mithilfe einer Neubaustrecke Hannover–Bielefeld die Fahrzeit zwischen beiden Städten auf 31 Minuten drücken will, pochen Politik, Bürgerinitiativen und Bevölkerung vor Ort seit Jahren auf den trassennahen Ausbau der Bahnstrecke Hannover–Minden. Doch lässt sich das möglicherweise auch vereinbaren? Dieser Frage hat sich Bahnexperte Rainer Engel gestellt. Der Pressesprecher der Initiative Deutschland-Takt referierte dazu kürzlich auf Einladung von Claudia Grimm und Christine Goedecke von der Initiative „Pro Ausbau“ in Buchholz. Am Mittwoch, 1. Oktober, wird er diesen Vortrag noch einmal online auf Einladung des VCD Minden-Lübbecke halten.

Aus Sicht von Rainer Engel stehen dem trassennahen Ausbau sowohl technische als auch politische und juristische Hürden im Weg. Politisch sei die Fahrzeitreduzierung zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet um 30 Minuten erklärtes Ziel der Bundesregierung. Dazu komme seit dem am 30. Juni veröffentlichten dritten Gutachterentwurf zum Zielfahrplan 2030plus für den Deutschland-Takt auch noch die Reduzierung der Fahrzeit Hamburg–Ruhrgebiet um eine Dreiviertelstunde. Der Bund und die davon profitierenden Bundesländer werden sich diese Vorteile kaum nehmen lassen, schätzt Engel.

Zudem sei der trassennahe Ausbau Hannover–Minden 2010 im Rahmen der turnusgemäßen Bedarfsplanüberprüfung als unwirtschaftlich eingestuft worden. Ohne eine Gesetzesänderung dürfe der Bund also gar nicht trassennah ausbauen. Aber auch der 2016 im Bundesverkehrswegeplan vorgestellten Variante eines teilweisen Ausbaus mit Neubauabschnitten bei Wunstorf sowie durch die Bückeburger Niederung und den Jakobsberg rechnet Engel keine realistischen Chancen aus: Die damit erreichbaren Fahrzeitverkürzungen hielten den Anforderungen des Zielfahrplans 2030plus nicht stand, zudem gebe es dagegen im Bereich Bückeburg und Porta Westfalica zu großen politischen Widerstand.

Im Detail untersucht hat Rainer Engel die Variante eines trassennahen Ausbaus inklusive einer etwa 19 Kilometer langen Neubaustrecke von Lindhorst nach Seelze, um damit die nicht ausbaubaren Kurven in Haste und Wunstorf zu umfahren. Dies würde in Summe elf Minuten Fahrzeit einsparen. Doch reicht das für das Konzept des Zielfahrplans Deutschland-Takt? Als entscheidend hat der Bahnexperte die Fahrzeit von Magdeburg nach Hamm herausgearbeitet. Sie dürfe nicht mehr als 2 Stunden und 27 Minuten betragen, um nicht an anderer Stelle wichtige Anschlusszüge zu verpassen und damit relevante Knotenbahnhöfe zu „sprengen“.

Lassen sich nun die angestrebten Fahrpläne westlich von Minden oder östlich von Hannover entsprechend anpassen, um mit den elf Minuten zurechtzukommen? Im Westen sei das praktisch nicht möglich, urteilt Rainer Engel, wolle man nicht beispielsweise den bereits idealen Knotenbahnhof Münster mit enormem Aufwand umbauen. Ähnlich östlich von Hannover: Dort müsste beispielsweise für jede Minute Fahrzeitverschiebung gegenüber dem angestrebten Zielfahrplan der 27 Kilometer lange viergleisige Abschnitt des Gifhorner Kreuzes um etwa 3,3 Kilometer verschoben werden – ebenfalls eine enorm teure und aufwendige Infrastrukturmaßnahme, die in der dortigen Region vermutlich auf massiven Widerstand stoßen würde.

Verschiedene andere theoretisch mögliche Kompensationsmaßnahmen hat Engel in seiner Ausarbeitung analysiert und kommt zu dem Schluss: „Der Umfang der entstehenden Folgekonflikte kann nur durch zusätzliche Gutachten abgeschätzt werden.“ Zwar entstünden für die vom Bund angestrebte Neubaustrecke von Hannover nach Bielefeld (deren Verlauf nach wie vor nicht feststeht) erhebliche Kosten, doch mit ihr würden die Vorgaben des Zielfahrplans erfüllt. Der Ausbau der Bestandsstrecke allein sei zwar wesentlich günstiger, verursache dafür aber an anderer Stelle erhebliche Kosten und zudem massive Eingriffe in das aus Sicht von Engel abgerundete, schlüssige Konzept des Deutschland-Takts. Sein Fazit: Der trassennahe Ausbau werde daher nur dann von der Politik weiterverfolgt, wenn die Neubaustrecke auf unüberwindliche Hindernisse stoße.

Quelle Johannes Pietsch SZLZ.de vom 29.09.2020


Kommentar von Pro-Ausbau

Rainer Engel ist von der Initiative Deutschlandtakt. Eine von sechs „Persönlichkeiten aus dem Verkehrsbereich“ gegründete Initiative, die sich für die Umsetzung des Deutschlandtaktes stark macht … für die Umsetzung des von Verkehrsminister Scheuer vorgestellten Entwurfs des Deutschlandtaktes.

Minister Scheuer und die Mitglieder seines Zukunftsbündnisses Schiene

Wir von der Initiative Pro-Ausbau widerum setzen darauf, dass der vorgestellte Entwurf des Deutschlandtaktes trefflich diskutiert wird!

Ein deutschlandweit funktionierender vertakteter Fahrplan, der Fern- UND Nahverkehr gemeinsam aufeinander abstimmt und somit für Fernreisende UND Pendler einen Nutzen bringt, darf nicht auf die Interessen von Wirtschaft- und Baubranche, geschweige denn auf die persönlichen Interessen einzelner Politiker abgestimmt sein. Der zukünftig umzusetzende Taktfahrplan muss neben den 1% Fernreisenden eben den 99% Nahverkehrnutzenden einen Vorteil bringen. Und ein wesentlicher Faktor ist: wenn ein Taktfahrplan wirklich in den Parlamenten von Bund und Ländern diskutiert und abgestimmt worden ist, dann wird uns dieses Konstrukt jahrzehntelang begleiten … jeden von uns, denn wir Steuerzahlenden finanzieren das Ganze! Aus unserer Sicht ist in Sachen Bezahlbarkeit der Umsetzung des Taktfahrplans ein entscheidenes Kriterium, die bestehende Infrastruktur instandzusetzen, zu modernisieren und auszubauen. Wir brauchen einen ökologisch und ökonomisch sinnvollen Taktfahrplan, der auf politisch gewollte Prestigeprojekte verzichtet.

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